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Bezahlt die Forscher auch fürs Lesen
Zeitresourcen und Interdisziplinarität - Ein Plädoyer für die "planlose Wissenschaft"
Aus: Forschung & Lehre 08/2006
Von Christian Baldus
"Viele Argumente sprechen dagegen, Forschung auf Drittmittelforschung zu beschränken, Lehre auf eine Quelle der Gebühren und generell Wissenschaft auf einen zu minimierenden Kostenfaktor.
Ein Aspekt der Ökonomisierung der Universität ist die Privilegierung planbarer Forschung. Wo sich der Staat aus seiner Verantwortung für nachhaltige Forschung und Lehre zurückzieht und die Wissenschaft auf (gewollt prekäre) Drittmittelfinanzierung verweist, da müssen die Drittmittelgeber angesichts steigender Nachfrage Kriterien für die Auswahl entwickeln. Es bedarf gar keiner politischen Einflußnahme, damit hier ein Faktor große Bedeutung gewinnt: die Transparenz und Überprüfbarkeit von Angaben, beide ihrerseits bedeutsam dafür, daß der Antragsteller nicht mehr bekommt, als er wirklich gerade für das Projekt braucht.
Der Wettbewerb der Antragsteller droht ohnehin eher die Qualität der Verpackungen zu fördern als die der Inhalte. So entsteht die oft und zu Recht beklagte "Tonnenideologie"; bei allen Merkwürdigkeiten mancher Förderentscheidung im Kern eine nachvollziehbare Schutzmaßnahme der Förderer. So entsteht aber auch, und das sei im folgenden für die Rechtswissenschaft als eine vielleicht typische Geistes- und Sozialwissenschaft ausgeführt, eine Situation, in der überhaupt nur noch Doktoranden ihre Kenntnisse erweitern und vernetzen können, wohingegen jeder weitere Schritt auf der akademischen Karriereleiter zu einer Verengung des Horizontes führen kann.
Wo nur nachweisbar Projektorientiertes finanziert wird, geht der Zusammenhang verloren, denn für diesen fühlt sich niemand zuständig. Die Weite des Blickes, die dem Anfänger vermittelt werden soll (dies der sinnvolle Grundgedanke hinter der in mancher Hinsicht fragwürdigen "strukturierten Promotion"), geht dem Fortgeschrittenen institutionell verloren; um so mehr, je weiter die staatliche Grundfinanzierung zurückgenommen wird und je mehr administrative und Prüfungsbelastungen ansteigen.
Lesen als typische Professorentätigkeit
Wer niemandem Rechenschaft über die Verwendung seiner zeitlichen und ökonomischen Ressourcen ablegen muß, kann Zeit und Geld in Dinge investieren, die ihm keine Fördereinrichtung je bezahlen würde. Nehmen wir das Lesen als eine nach konservativer Ansicht typische Professorentätigkeit: Er kann Neuerscheinungen aus benachbarten Fächern lesen, er kann neue Lehrbücher zum eigenen Fach studieren oder alte Standardwerke wiederlesen, er kann Dissertationen und Seminararbeiten gründlich lesen, er kann eigene Manuskripte mehrfach lesen und überarbeiten.
Hat man gelesen, kann man auch diskutieren. Vielleicht könnte man sogar einmal ein Buch übersetzen, für den Übersetzer selbst sprachlich und inhaltlich ein vorzügliches Exerzitium, für die wissenschaftliche Öffentlichkeit ein nützliches Werk. Das alles ist ökonomisch vor der Hand wertlos, aber schafft Assoziation, Kritik, neue Kombinationen, Kontraste und Thesen."
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Weiter unter: http://www.academics.de/portal/action/magazine?nav=11061
Zeitresourcen und Interdisziplinarität - Ein Plädoyer für die "planlose Wissenschaft"
Aus: Forschung & Lehre 08/2006
Von Christian Baldus
"Viele Argumente sprechen dagegen, Forschung auf Drittmittelforschung zu beschränken, Lehre auf eine Quelle der Gebühren und generell Wissenschaft auf einen zu minimierenden Kostenfaktor.
Ein Aspekt der Ökonomisierung der Universität ist die Privilegierung planbarer Forschung. Wo sich der Staat aus seiner Verantwortung für nachhaltige Forschung und Lehre zurückzieht und die Wissenschaft auf (gewollt prekäre) Drittmittelfinanzierung verweist, da müssen die Drittmittelgeber angesichts steigender Nachfrage Kriterien für die Auswahl entwickeln. Es bedarf gar keiner politischen Einflußnahme, damit hier ein Faktor große Bedeutung gewinnt: die Transparenz und Überprüfbarkeit von Angaben, beide ihrerseits bedeutsam dafür, daß der Antragsteller nicht mehr bekommt, als er wirklich gerade für das Projekt braucht.
Der Wettbewerb der Antragsteller droht ohnehin eher die Qualität der Verpackungen zu fördern als die der Inhalte. So entsteht die oft und zu Recht beklagte "Tonnenideologie"; bei allen Merkwürdigkeiten mancher Förderentscheidung im Kern eine nachvollziehbare Schutzmaßnahme der Förderer. So entsteht aber auch, und das sei im folgenden für die Rechtswissenschaft als eine vielleicht typische Geistes- und Sozialwissenschaft ausgeführt, eine Situation, in der überhaupt nur noch Doktoranden ihre Kenntnisse erweitern und vernetzen können, wohingegen jeder weitere Schritt auf der akademischen Karriereleiter zu einer Verengung des Horizontes führen kann.
Wo nur nachweisbar Projektorientiertes finanziert wird, geht der Zusammenhang verloren, denn für diesen fühlt sich niemand zuständig. Die Weite des Blickes, die dem Anfänger vermittelt werden soll (dies der sinnvolle Grundgedanke hinter der in mancher Hinsicht fragwürdigen "strukturierten Promotion"), geht dem Fortgeschrittenen institutionell verloren; um so mehr, je weiter die staatliche Grundfinanzierung zurückgenommen wird und je mehr administrative und Prüfungsbelastungen ansteigen.
Lesen als typische Professorentätigkeit
Wer niemandem Rechenschaft über die Verwendung seiner zeitlichen und ökonomischen Ressourcen ablegen muß, kann Zeit und Geld in Dinge investieren, die ihm keine Fördereinrichtung je bezahlen würde. Nehmen wir das Lesen als eine nach konservativer Ansicht typische Professorentätigkeit: Er kann Neuerscheinungen aus benachbarten Fächern lesen, er kann neue Lehrbücher zum eigenen Fach studieren oder alte Standardwerke wiederlesen, er kann Dissertationen und Seminararbeiten gründlich lesen, er kann eigene Manuskripte mehrfach lesen und überarbeiten.
Hat man gelesen, kann man auch diskutieren. Vielleicht könnte man sogar einmal ein Buch übersetzen, für den Übersetzer selbst sprachlich und inhaltlich ein vorzügliches Exerzitium, für die wissenschaftliche Öffentlichkeit ein nützliches Werk. Das alles ist ökonomisch vor der Hand wertlos, aber schafft Assoziation, Kritik, neue Kombinationen, Kontraste und Thesen."
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Nicole Hoffmann - 12. Sep, 15:08